Sommerliche Meldungen zu Schildkröten in Schleswig-Holstein
Wie in jedem Sommer berichteten auch im Jahr 2024 Medien über freilebende Schildkröten in Schleswig-Holstein und anderen norddeutschen Bundesländern. Oft werden diese Tiere eingefangen und zur Behörde oder in eine Tierauffangstation gebracht. Als Beispiel der Bericht vom NDR vom 10.08.2024. Dort erklärt Christian Erdmann vom Wildtier- und Artenschutzzentrum in Klein Offenseth-Sparrieshoop die Schwierigkeit, diese Tiere sachgerecht zu pflegen. In Niedersächsischen NABU-Artenschutzzentrum Leiferde wurden diesen Sommer 80 Landschildkröten eingeliefert, wie der Fernsehsender Sat1 am 1. Juli 24 berichtete.
Wasserschildkröten werden noch häufiger gefunden. So im April 2024 Schildkröten sonnen sich am kleinen Segeberger See. Die Heimat dieser Tiere ist meist Nordamerika. Nach einiger Zeit als Haustiere werden die Schmuckschildkröten dann in „der Natur“ ausgesetzt, etwa im Stadtteich oder in einem Naturschutzgebiet. Seltener gibt es Meldungen über den Fund einer Europäischen Sumpfschildkröte, wie 2017 im Tävsmoor (Kreis Pinneberg).
Echte Vorkommen in Schleswig-Holstein?
Der Reptilienatlas von Schleswig-Holstein werden einige Dutzend Meldungen für die Sumpfschildkröte genannt, etliche davon sind subfossile Funde im Ostholsteinischen Hügelland, funde bei Ausgrabungen. Unter den Funden in den jüngsten Jahrzehnten können maximal die im Südosten des Landes entdeckten Tiere möglichweise einheimische Tiere sein. Die anderen Landesteile, insbesondere die Marschen, sind für die wärmeliebende Art ungeeignet, diese Schildkröten sind mit Sicherheit durch Menschenhand dorthin gelangt.
Foto der europäischen Sumpfschildkröte (Ausschnitt)
Killarnee, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Sumpfschildkröten in Brandenburg
Wiederausbreitung nach der Kaltzeit
Ende der 1980er Jahre waren Brandenburg und das südöstliche Mecklenburg-Vorpommern die letzten Vorkommen der „einheimischen“ Europäischen Sumpfschildkröte (Haplotyp IIb). Diese Tiere haben die jüngste Kaltzeit in Griechenland überstanden und sind von dort aus wieder nordwärts bis nach Südschweden und England vorgedrungen. Für die nördlicheren Gebiete gibt es ausschließlich subfossile Nachweise. Die polnische Population ist genetisch verschieden, diese Tiere kamen aus dem Schwarzmeergebiet zurück.
Datenquelle
Quelle dieser Informationen über die Brandenburger Population ist unter anderem ein Vortrag von Norbert Schneeweiß für die Heinz Sielmannstiftung am 05.12.2024 per Videostream
Verjüngung der uralten Sumpfschildkröten
Ende der 80er Jahre startete eine systematische Suche nach der Sumpfschildkröte in Osten Deutschlands. Man fand ungefähr 80 ausgewachsene Tiere in cirka fünf Gebieten. Aber es wurden weder Jungtiere noch unausgewachene, noch nicht geschlechtsreife Exemplare gefunden. Die Tiere können zwischen 80 und 100 Jahre alt werden. Offenbar hatte die Population in den vergangenen Jahrzehnten keinen Nachwuchs mehr gezeugt. Das war der Ansatz für den Naturschutz, gezielt nach den Eiablageplätzen zu suchen, auch mit Hilfe von besenderten Weibchen.
Zur Eiablage verlassen die Weibchen ihren sumpfigen Lebensraum und suchen sonnige, trockene, sandige Südhänge auf. Diese Lebensräume – unbeschattet, trocken und Südlage – wurden allerdings vollständig für den Getreideanbau genutzt und waren daher stark gestört und für die Eierentwicklung ungeeignet. Die geschützteren Flächen waren mit Wald bestanden und für die Nester ungeeignet, da die Temperaturen im Schatten für die Entwicklung der Eier nicht ausreichten.
Nachdem die Eiablageflächen entdeckt wurden, wurden Maßnahmen ergriffen, um diese Flächen aus der landwirtschaftlichen Nutzung herauszunehmen. Nun wird ein Biotopmanagement in Richtung einer sonnigen Trockenrasenvegetation durchgeführt, das bereits erste Erfolge zeigt.
Die Jungtiere schlüpfen zwar bereits im Spätsommer aus den Eiern, bleiben aber zunächst im Erdnest. Dieses verlassen sie erst im Frühjahr des folgenden Jahres. Bis dahin leben sie von den Nährstoffen des Eidotters. Für die Schildkrötenmanager bedeutet dies, dass die bekannten Neststandorte im Winter mit Zweigen vor zu großer Kälte geschützt werden müssen. Diese Nester werden markiert, um sicherzustellen, dass sie während der Biotoppflegearbeiten nicht von Mähgeräten überfahren werden.
Schildkrötenbiotope aus zweiter Hand
Es gelang in den nächsten Jahren, ein großes Kiesabbaugebiet dem Naturschutz zu widmen – später wurde noch ein zweites solches „Semireservat“ geschaffen. Auf der mehrere Hektar großen Flächen wurden flache Wasserflächen und sandige Hügel gestaltet. Die Sumpfschildkröte schwimmt nicht so gut und lebt deshalb in „Sümpfen“, also in Flachwasserbereichen. In den Sümpfen suchen die Tiere gezielt Bereiche unter Totholz auf, offenbar als Schutz vor Beutegreifern von oben. Um gegen vierbeinige Beutegreifer zu schützen, ist das Gebiet (und eine weitere, ähnliche Fläche) mit stabilem Elektrozaun eingefriedet. Diese Maßnahme soll zumindest so lange bestehen bleiben, bis die ersten Schildkröten sich reproduziert haben – die Tiere werden frühestens mit 14 Jahren geschlechtsreif.
Eine interessante Statistik in den Ausführungen von Norbert Schneeweiß zeigt, dass 90% der auf Wildkamerafotos abgebildeten Tiere Waschbären sind. Diese Tierart ist seit etwa 2005 in das schildkrötenbewohnte Gebiet eingewandert. Das zweithäufigste Tier war das Wildschwein (6%), gefolgt von Mardern, Füchsen, Fischottern und Ratten. Auch wenn die Schildkröten einen solchen Angriff in ihrem Panzer überleben, verlieren viele Tiere ein oder zwei Beine. Auch wenn Weibchen nur ein Hinterbein verlieren, verhindert dies, dass sie erneut Eier ablegen können. Falls Biologen bei der Kontrolle der Eiablagegebiete solche verletzten Weibchen finden, werden diese in Pflegeeinrichtungen aufgenommen. Die verbleibende Reproduktionsfähigkeit wird dann im Rahmen eines Nachzucht- und Auswilderungsprogramms genutzt.
Funfact: Ein Wolfsrudel reduzierte die Zahl der Waschbären im Gebiet.
Ausschnitt aus 4028mdk09, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons
Thema Schildkröten bei Naturführungen
Wenn wir auf unseren Führungen auf die Existenz von Schildkröten in Schleswig-Holstein angesprochen werden, können wir Natuführer mit ruhigem Gewissen sagen, dass diese Tiere von Natur-Schein-Freunden ausgesetzt wurden. Für Schleswig-Holstein und Hamburg gibt es zwar immer wieder Beobachtungen, doch das sind ausgesetzte, meist fremdländische Arten. Im Ohldorfer Friedhof und in den Teichen am Dammtor werden in den Sommermonaten häufig Schildkröten beobachtet, für außerhalb von Hamburg liegen mir bisher nur Zeitungsberichte vor.
In Süddeutschland sind die klimatischen Bedingungen mittlerweile so, dass Eiablage der Exoten nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Da Schildkröten mehrere Jahrzehnte alt werden, besteht die Möglichkeit, dass sich diese Arten in Deutschland reproduzieren und somit etablieren. Allein durch ihre Anwesenheit könnte es zur Konkurrenz mit den einheimischen Schildkröten kommen, Nahrungskonkurenz oder Streit um die besten Ruheplätze. Dazu besteht die Gefahr, dass Krankheiten eingeschleppt werden.
Weitere Vorkommen der Sumpfschildkröte in Deutschland
In Deutschland gibt es natürlicherweise ausschließlich die Sumpfschildkröte, andere Arten kommen nicht vor. Neben dem Vorkommen in Brandenburg gibt es in der südlichen Hälfte Deutschlands weitere Schildkrötengebiete. in Rheinland-Pfalz wird bei Förderprogrammen die Nähe der französischen Populationen gesucht, genetisch verschieden zu den ostdeutschen Tieren.
NABU Zentrum Blumenberger Mühle
In dem NABU Zentrum Blemenberger Mühle bei Angermünde gibt es die bundesweit einzige begehbare Freianlage für Europäische Sumpfschildkröten.
NABU Zentrum Leiferde
Das Projekt im NABU Zentrum Leiferde zur Aufzucht der Europäischen Sumpfschildkröe läuft seit 2013, mittlerweile wurden 406 Tiere am Steinhuder Meer ausgewildert. Dafür werden die Schildkröten des Haplotyps IIa in Leiferde gezüchtet. Die genetische Bestimmung ist wichtig, um die heimischen Arten zu erhalten und nicht zu vermischen, und wird vom Senckenberg-Institut durchgeführt. Die Population in Brandenburg hat den Haplotyp IIb, wie oben erwähnt. Die beiden Abstammungslinien haben sich vermutlich während der Eiszeit voneinander getrennt. Die anderen Unterarten der Sumpfschildkröte entwickeln sich seit einigen Millionen Jahre getrennt von diesen mit IIa und IIB bezeichneten Unterarten.
Artenkompetenzzentrum Rhinluch
Die Naturschutzstation Rhinluch in Linum bei Fehrbellin ist bei der Zucht der Europäischen Sumpfschildkröte erfolgreich. Norbert Schneeweiß, der Direktor der Naturschutzstation berichtete im Sommer 2024 dem rbb, dass bereits 200 Jungtiere in diesem Jahr auf der Naturschutzstation geschlüpft seien. Seit 30 Jahren werden die seltenen Tiere in Rhinluch gezüchtet und ausgewildert. Das Ziel sei laut Schneeweiß, den Bestand dauerhaft halten.
0 Kommentare